Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Neue Zürcher Zeitung 28.07.2008
Cottbus leidet unter einer Abriss-Welle

Die Bauschilder, die überall in Cottbus zu finden sind, verbreiten Optimismus. "Stadtumbau Ost - Für lebenswerte Städte und attraktives Wohnen" ist auf ihnen zu lesen. Diese Schilder künden vom Programm Stadtumbau Ost, das 2001 von der Bundesregierung beschlossen wurde und zu dessen Schwerpunkten Cottbus zählt. Mit Hilfe des Programms, das mit insgesamt 2,9 Milliarden Euro dotiert ist, sollen die Städte attraktiver werden. Die Realität sieht allerdings anders aus. Wer Cottbus durchquert, der erlebt Quartiere, die eher Geisterstädten als lebenswerten Städten gleichen. Hier reihen sich leere Wohnblöcke aneinander, verlassene Geschäfte erschrecken mit vernagelten Fenstern, auf Abrissflächen entwickeln sich spontane Müllkippen. Lebendigkeit verbreitet lediglich ein Abrissbagger, der gerade einen Wohnblock zerschreddert.

"Ein Trauerspiel", kommentiert Gottfried Schierack die Entwicklung von Cottbus in den letzten Jahren. Schierack, der schon seit 1963 in Cottbus lebt, ist Stadtverordneter der CDU und Vorsitzender des Bürgervereins Schmellwitz. Vor allem aber ist er ein leidenschaftlicher Lokalpatriot. "Eigentlich ist Cottbus eine schöne Stadt", erklärt er. Er schwärmt von den vielen Parks, von den Wasserläufen und Teichen, die die Wohngebiete durchziehen, von den grünen und ruhigen Wohnsiedlungen. Umso mehr bedrückt ihn die Entwicklung, die Cottbus in den letzten Jahren genommen hat. Zuerst, gleich nach 1990, musste die Stadt eine Wirtschaftskrise verkraften, die bis heute anhält. Später, ab 2001, folgte der Stadtumbau Ost. Eigentlich war geplant, die Stadt für Bürger und Investoren attraktiver zu machen. Der Abriss von leer stehenden Gebäuden sollte den Wohnungsleerstand beseitigen und die Stadt aufwerten. Bis jetzt wurden in Cottbus rund 7000 Wohnungen abgerissen.

Doch eine Stärkung der Stadt wurde durch die Abrisse nicht erreicht. Stattdessen macht sich Verunsicherung breit. Denn vom Abriss sind nicht nur leer stehende Häuser, sondern auch bewohnte Gebäude betroffen, die vor dem Abriss leer gezogen werden müssen. Häufig werden Mieter gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen herausgekündigt. "Die Abrissplanungen werden von der Stadtverwaltung hinter dem Rücken der Bürger ausgekungelt", berichtet Schierack. Aber auch nach den Abrissen sind die Belastungen noch lange nicht zu Ende. Denn viele Mieter müssen erleben, dass die Abrisspläne plötzlich erweitert werden und dass nun ihre vermeintlich sicheren Umsetzwohnungen ebenfalls auf die Abrissliste geraten. "Manche Mieter mussten schon dreimal umziehen", erzählt Schierack.

Wann die Abrisse aufhören werden, ist völlig unklar. Deshalb müssen die Bürger ständig damit rechnen, dass auch ihr Haus auf die Abrissliste gerät. "Niemand weiß, wie lange sein Haus noch stehen wird", erklärt Schierack. "Gerade die älteren Bürger leiden sehr unter der Unsicherheit." Viele von ihnen entschließen sich deshalb zum Wegzug. "Die ziehen dorthin, wo ihre Kinder leben - nach Westdeutschland", beschreibt er das Problem.

Zudem sind mit dem Stadtumbau kostspielige Nebenwirkungen verbunden. Eine Auswirkung betrifft die Fernwärmepreise. 1999 wurde in Cottbus ein modernes Braunkohlekraftwerk eingeweiht, das der Stadt dauerhaft niedrige Fernwärmepreise bescheren sollte. Doch dann wurden im Rahmen des Stadtumbaus viele fernwärmebeheizte Wohnungen abgerissen. Folgerichtig gibt es immer weniger Fernwärmekunden, die die gleichbleibenden Kosten für den Betrieb des Kraftwerkes und des Leitungsnetzes bezahlen müssen. Die Folge: Die Fernwärmepreise sind seit 1999 von rund 42 Euro auf derzeit rund 64 Euro pro Megawattstunde gestiegen.

Ähnliche Probleme bereitet das Straßenbahnnetz. Im Rahmen des Stadtumbaus wurden viele Wohnblöcke abgerissen, die an Straßenbahnlinien lagen. Die Folge sind immer weniger Fahrgäste und Fahrgeldeinnahmen, mit denen gleichbleibende Kosten für den Unterhalt der Strecken und des Wagenparks finanziert werden müssen. Die Krise der städtischen Infrastruktur kulminierte erstmals 2005. Damals standen die Cottbuser Stadtwerke, die die Fernwärmeversorgung und die Straßenbahn betrieben, kurz vor der Insolvenz. Lediglich eine außerplanmäßige Finanzspritze des Landes Brandenburg von 5 Millionen Euro konnte die Insolvenz vorläufig abwenden. Doch die Zeitbombe tickt weiter. Weitere Erhöhungen der Fernwärmepreise sind bereits angekündigt.

Das Resultat dieser Widrigkeiten ist ein Teufelskreis. Viele Cottbuser wollen sich den Umzügen, Abrissen und Kostensteigerungen nicht länger aussetzen und ziehen nun erst recht weg. Mittlerweile ist Cottbus von 136.000 Einwohnern im Jahr 1989 auf derzeit 103.000 Einwohner geschrumpft. Die Folge ist ein weiterer Leerstand, auf den die Stadtverwaltung mit immer radikaleren Abrissplänen reagiert. 2002 sollten "nur" 8800 Wohnungen abgerissen werden, 2006 wurde die Zahl um weitere 4000 Wohnungen aufgestockt. Die Abrisse fördern wiederum den Wegzug.

Mit dem Stadtumbau Ost wird auch Hans-Joachim Kersten vom Mieterbund Cottbus-Guben und Umgebung während seiner täglichen Arbeit konfrontiert. In seine Sprechstunden kommen viele Mieter, die eine Abrisskündigung erhalten haben und um Hilfe bitten. Doch Kersten kann den Mietern oft nur begrenzt helfen. Denn derzeit gibt es noch keine Gesetze, die eine Mitsprache der Bürger bei Wohnungsabrissen vorschreiben. "Die Mieter fragen uns immer, welche Rechte sie haben. Wir müssen ihnen dann sagen, dass sie eigentlich keine Rechte haben", beschreibt Kersten das Dilemma.

Es gibt aber noch ein anderes Problem, das Kersten beschäftigt. In den letzten Jahren wurden in Cottbus vor allem preiswerte Wohnungen abgerissen. Jetzt gibt es zwar ein reiches Angebot an großen und teuren Wohnungen. Doch preiswerte und kleine Wohnungen sind mittlerweile Mangelware. Die Vermieter haben auf den Engpass bereits reagiert. Die Quadratmetermieten für preiswerte Wohnungen sind zwischen 2005 und 2007 um 1,50 Euro gestiegen. Für die oft einkommensschwachen Abrissmieter bringt diese Lage neue Schwierigkeiten. Sie haben Probleme, eine bezahlbare Ersatzwohnung zu finden.

Gedrückte Stimmung herrscht auch bei den Händlern der Einkaufsstraße Zuschka. Eine von ihnen ist Waltraut Gussor, die seit 1988 eine Apotheke betreibt. Viele Jahre lief ihre Apotheke gut. Doch seitdem die Abrisse laufen, kommen immer weniger Kunden in ihren Laden. "In den letzten Jahren ist die Hälfte meiner Kundschaft weggezogen", berichtet sie. Es gibt aber noch eine zweite Entwicklung, die ihr Sorgen macht. "Viele Bürger haben das Gefühl, dass es nur noch bergab geht", erklärt sie. "Und die Hoffnungslosigkeit macht die Menschen kaputt." Sie erzählt von Trinkern, die sich schon morgens vor ihrer Apotheke sitzen, von Jugendlichen, die den ganzen Tag herumhängen, von wachsender Kriminalität. Auch ihre Apotheke wurde in der letzten Zeit dreimal von Einbrechern heimgesucht. Wie lange sie ihre Apotheke noch halten kann, weiß sie nicht. "Es ist ja völlig unklar, wie es mit dem Stadtumbau weitergeht", erklärt sie.

Andere Händler an der Zuschka haben ähnliche Sorgen. Der Reparaturservice verlor in den letzten Jahren 20 Prozent seines Umsatzes, der Spielwarenladen beklagt ein Umsatzminus von 40 Prozent, der Schuhladen muss gar eine Einbuße von 70 Prozent verkraften. Andere Läden haben bereits geschlossen. Der Lottoladen hat ebenso aufgegeben wie der Schreibwarenladen, das Reisebüro, die Versicherungsagentur.

Gibt es eine Rettung aus dem Teufelskreis? Gottfried Schierack und seine Mitstreiter vom Bürgerverein wollen jedenfalls nicht aufgeben. Ihr aktuelles Kampffeld ist die Schulpolitik. Umkämpft ist beispielsweise die Zukunft des Humboldt-Gymnasiums, einer Vorzeigeschule. Hier werden die Schüler in Kooperation mit einer Schule in Zielona Gora auf Deutsch und Polnisch unterrichtet. Erst 2002 wurde die Schule aufwändig saniert. Doch im Februar 2008 hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, das Gymnasium wegen sinkender Schülerzahlen zu schließen. Schierack hält die Schulschließung für eine Katastrophe. "Eine Stadt, die erfolgreich sein will, braucht gute Schulen", erklärt er. Deshalb will er den Schließungsbeschluss wieder kippen. "Ansonsten werden noch mehr aus Cottbus wegziehen", ist sich Schierack sicher.

Matthias Grünzig