Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Bauwelt 21/2008
Bürgerbegehren gegen den Stadtumbau in Frankfurt/Oder

Für die Bundesregierung ist das Programm "Stadtumbau Ost" ein voller Erfolg. Sie konstatiert eine Stärkung der Städte und eine Aufwertung der Wohngebiete. Viele Bürger in den betroffenen Städten sind allerdings ganz anderer Meinung. Ein Beispiel ist Frankfurt/Oder, wo mehr als 9000 der 61.000 Einwohner ein Bürgerbegehren gegen den Stadtumbau unterschrieben haben.

Worum geht es konkret? Frankfurt/Oder musste nach 1990 eine Wirtschaftskrise, einen Bevölkerungsrückgang von 88.000 auf derzeit 61.000 Einwohner und einen Anstieg des Wohnungsleerstandes auf 18 Prozent im Jahr 2002 verkraften. Auf diese Probleme reagierte die Stadtverwaltung mit mehreren Stadtumbaukonzepten. 2002 wurde das erste Stadtumbaukonzept beschlossen, das den Abriss von 6500 Wohnungen bis 2015 vorsah, 2004 folgte das zweite Stadtumbaukonzept mit einem Abrissziel von 9500 Wohnungen bis 2015, 2007 schließlich wurde das dritte Stadtumbaukonzept verabschiedet, nach dem knapp 11.000 Wohnungen bis 2020 abgerissen werden sollen. Bei der Umsetzung dieser Pläne setzte die Stadt auf den flächigen Abriss ganzer Quartiere, um mit wenig Geld möglichst große Abrisszahlen zu erreichen. Diese Abrisse sollten die Stadt stärken und attraktiver machen.

Für die Betroffenen brachte der Stadtumbau enorme Härten. Denn bei den Abrissen wurden alle Standards einer demokratischen Planungskultur, wie sie etwa im Rahmen der behutsamen Stadterneuerung entwickelt worden waren, über Bord geworfen. Die Abrisskonzepte wurden hinter dem Rücken der Bürger zwischen der Stadtverwaltung und den beiden Großvermietern Wowi und Wohnbau ausgehandelt. Die betroffenen Mieter hatten kaum Möglichkeiten, die Planungen mitzugestalten, sondern wurden immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Zudem waren von den Abrissen nicht nur leer stehende, sondern auch voll belegte Wohnhäuser betroffen. Deren Mieter wurden oft gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen herausgekündigt. Viele von ihnen erhielten keine gleichwertigen Ersatzwohnungen, etliche Bürger mussten zwei- und dreimal umziehen, weil die Ersatzwohnungen später ebenfalls auf die Abrisslisten gesetzt wurden. Auf diese Weise konnten bis jetzt rund 5700 Wohnungen beseitigt werden.

Anfangs wurde diese Politik von vielen Bürgern zähneknirschend akzeptiert, schließlich galt sie als eine zwar bittere, aber doch heilsame Medizin. Doch bald stellte sich heraus, dass der Abriss keineswegs zu einer Gesundung der Stadt führte. Im Gegenteil: Frankfurt/Oder erlebte in den letzten Jahren trotz aller Abrisse einen weiteren Bevölkerungsrückgang, der wiederum drastische Konsequenzen für die Attraktivität der Stadt hatte. Die Fernwärmepreise stiegen aufgrund der Absatzrückgänge auf ein Rekordniveau, die Auslastung der Straßenbahn ging zurück, Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Gaststätten und Freizeitangebote mussten aufgrund fehlender Nutzer schließen. Der Rückgang der Steuereinnahmen und Finanzzuweisungen, die ebenfalls von der Bevölkerungszahl abhängen, sorgte für eine Haushaltskrise. Zudem stellte sich heraus, dass oft am Bedarf vorbei abgerissen wurde. Weil viele kleine und preiswerte Wohnungen abgerissen worden waren, machte sich bald ein Defizit von 3200 bis 4000 preiswerten Zweiraumwohnungen bemerkbar. Dennoch wurden die Abrisspläne nicht revidiert.

Diese Misere rief viele Bürger auf den Plan, die den Niedergang ihrer Stadt nicht mehr widerstandslos hinnehmen wollten. Bereits 2006 entstand die Bürgerinitiative Stadtumbau, die fortan mit Demonstrationen, Unterschriftensammlungen und eigenen Alternativvorschlägen für einen behutsamen Stadtumbau kämpfte. Die Initiative machte sich immer wieder für den Erhalt der besonders nachgefragten preiswerten und altenfreundlichen Wohnungen stark. Zudem regte sie an, den Wohnungsleerstand nicht durch flächige Abrisse, sondern durch den Rückbau der oberen Etagen von Wohnhäusern zu bekämpfen. Gerade in fünf- und sechsgeschossigen Wohnhäusern ohne Aufzug stehen die oberen Etagen leer, während die unteren Etagen gut belegt sind. Die Kündigung von Mietern könnte bei dieser Variante vermieden werden. Unterstützung erhielt die Bürgerinitiative vom Dresdner Architekten Wolf-Rüdiger Eisentraut, der derartige Rückbauten in anderen Städten bereits praktisch realisiert hat. Allerdings führten all diese Aktionen nicht zu einer Änderung der Stadtumbaupolitik. Stattdessen wurden die Abrisspläne von der Stadtverwaltung immer wieder als alternativlos hingestellt.

Deshalb entschloss sich die Bürgerinitiative im März dieses Jahres zur Einleitung eines Bürgerbegehrens. Mit ihrer Aktion will die Initiative erreichen, dass die im Februar beschlossene Abrissliste für 2009 aufgehoben wird. Das Echo auf diese Aktion war enorm. Binnen kürzester Zeit konnten über 9000 Unterschriften gesammelt werden, das Quorum von 5300 Stimmen wurde damit deutlich übertroffen. Jetzt muss die Stadtverordnetenversammlung über die Zulassung eines Bürgerentscheides beraten. Die Linkspartei und Teile der SPD signalisieren bereits ihre Zustimmung, die anderen Parteien verhalten sich noch ablehnend.

Die Frankfurter Ereignisse offenbaren aber nicht nur die Fehler der Stadtverwaltung, sondern sind auch ein Beleg für die Mängel des Stadtumbau Ost-Programms. Die Mitwirkungsrechte der betroffenen Bürger müssen ebenso verbessert werden wie die Förderung von behutsamen Stadtumbaustrategien. Ansonsten wird die Stärkung der Städte nur ein frommer Wunsch bleiben.

Matthias Grünzig