Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Neue Zürcher Zeitung 25.02.2008
Die Bundesgartenschau als letzte Hoffnung (Rathenow)

Rathenow, das im Westen Brandenburgs an der Havel liegt, ist eine krisengeschüttelte Stadt. Hier gibt es selbst in der Altstadt große Brachflächen, auf denen nur Unkraut wächst, ein Stück weiter erheben sich leer stehende Häuser und verwaiste Industrieanlagen. Hinter diesen Bildern verbergen sich Fakten, die nicht weniger bedrückend sind. Rathenow musste nach 1990 einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, eine Arbeitslosenquote von zeitweise über 25 Prozent und einen Bevölkerungsrückgang von 31.000 Einwohner 1989 auf derzeit 26.000 Einwohnern verkraften.

Doch nun gibt es einen Hoffnungsträger: die Bundesgartenschau (BUGA) 2015. Am 15. November 2007 hat die Deutsche Bundesgartenschau-Gesellschaft die BUGA 2015 an ein Bündnis der Havelstädte Rathenow, Brandenburg, Premnitz, Rhinow und Havelberg vergeben. Professor Klaus Neumann, der Planer und Koordinator der BUGA, beschreibt das Konzept der Schau. Was ihm vorschwebt, ist eine Kombination aus reizvollen Städten, der Flusslandschaft der Havel und entsprechenden Schifffahrtslinien, die Touristen scharenweise in die Havelregion locken soll. Für Rathenow ist eine Renaissance der Innenstadt geplant. Denn Rathenow besaß vor dem Zweiten Weltkrieg eine reizvolle Innenstadt, die später durch Kriegszerstörungen, einen einfachen Wiederaufbau während der DDR-Zeit und Vernachlässigung verlorenging. Diese Innenstadt soll eine strahlende Wiedergeburt erleben. Geplant sind eine malerische Altstadt mit verwinkelten Gassen und sanierte Gründerzeitviertel mit prächtigen Stuckfassaden. "Attraktive Städte haben gute Chancen, Bürger und Investoren anzulocken", beschreibt Neumann die Erwartungen an die BUGA. Für diese Vision sollen insgesamt rund 60 Millionen Euro aufgewendet werden. Das Finanzierungskonzept soll im April 2008 vorliegen.

Doch sind diese Hoffnungen auch realistisch? Gespräche mit Rathenower Entscheidungsträgern wecken eher Zweifel. Wenig ermutigend sind etwa die Berichte von Matthias Remus, dem Leiter des Rathenower Bauamtes. Remus bemüht sich schon seit Jahren um die Renaissance der Innenstadt. Doch in der Realität führten all diese Bemühungen immer wieder zu Enttäuschungen. Bereits kurz nach 1990 gingen die Rathenower Stadtplaner mit großem Elan an die Innenstadtsanierung. "Wir wollten die Wunden des Krieges und der Nachkriegszeit heilen", erklärt Remus. Die teilzerstörte Sankt Marien-Andreas-Kirche wurde restauriert, verfallene Altbauten erfuhren eine aufwändige Sanierung. Innenstadtbereiche, die mit Gebäuden aus der Nachkriegszeit bebaut waren, wurden abgerissen und für Neubebauungen hergerichtet. Die Stadt legte historische Straßen wieder an, bot Bauparzellen zu günstigen Preisen an und offerierte den potenziellen Bauherren eine Vielzahl an Fördergeldern. Die Stadtplaner hofften auf eine reizvolle Innenstadt, die Bürger und Investoren gleichermaßen anlocken sollte.

Doch in der Praxis gingen die Konzepte nicht auf. Für die neu erschlossenen Baugrundstücke in der Innenstadt fanden sich trotz aller Bemühungen keine Bauherren. Auch die Altbausanierung kam nur langsam voran, weil vielen Investoren eine Altbausanierung in der wirtschaftsschwachen Stadt nicht lukrativ erschien. Folgerichtig setzte sich trotz der Sanierungen der Bevölkerungsrückgang fort. Mittlerweile summieren sich die Ausgaben für die Innenstadtentwicklung auf 19 Millionen Euro. Dennoch präsentieren sich große Bereiche der Innenstadt als verwilderte Brachen.

Große Hoffnungen waren auch mit der brandenburgischen Landesgartenschau (LAGA) 2006 in Rathenow verbunden. Für 16 Millionen Euro wurden rings um die Innenstadt reizvolle Parkanlagen geschaffen. Wieder hoffte die Stadt auf den Zuzug von Bürgern und Investoren. Doch in der Realität brachte auch die LAGA kein Ende des Bevölkerungsverlustes. Stattdessen muss nun, neben den Baukosten, Jahr für Jahr eine Million Euro für den Unterhalt der neuen Parks aufgewendet werden. Nicht zuletzt aufgrund dieser Ausgaben hat sich der Schuldenberg der Stadt auf 16 Millionen Euro erhöht.

Weitere Probleme brachte die Sanierungspolitik der Kommunalen Wohnungsgesellschaft Rathenow (KWR). Um die Wiederbelebung der Innenstadt doch noch zu verwirklichen, wurde die KWR zu verstärkten Investitionen in der Innenstadt verpflichtet. Die prächtig sanierten Altbauten sollten neue Bewohner nach Rathenow locken. In den letzten Jahren investierte die KWR Millionenbeträge, um marode Gebäude in strahlende Schönheiten zu verwandeln.

Aber auch diese Schmuckstücke lockten keine Zuzügler nach Rathenow. Stattdessen zog selbst in sanierte Wohnungen der Leerstand ein. Andere Wohnungen konnten zwar vermietet werden. Doch auch sie erwirtschafteten Defizite, weil die teuren Sanierungsmaßnahmen durch Nettokaltmieten von teilweise 3,40 Euro nicht gedeckt werden konnten. Folgerichtig stieg das Defizit der KWR von Jahr zu Jahr. Im Frühjahr 2006 zog die KWR die Notbremse. Sie riss, sehr diskret und ohne Zustimmung der Stadtverwaltung, verfallene Altbauten ab. Diese Abrisse riefen allerdings die brandenburgische Landesregierung auf den Plan. Sie brandmarkte die Abrisse als Kulturbanausentum und drohte Rathenow mit dem Entzug von Fördergeldern. Die KWR stoppte daraufhin die Altbauabrisse und besiegelte gleichzeitig ihre Krise. Der Schuldenberg der Gesellschaft stieg auf 71 Millionen Euro an, und 2007 geriet die KWR in akute Insolvenzgefahr. Jetzt hängt die Krise der KWR wie ein Damoklesschwert über allen weiteren Planungen der Stadt. Denn wenn die KWR tatsächlich Insolvenz beantragen würde, dann müsste die Stadt den Schuldenberg der KWR übernehmen, mit der Folge, dass auch die Stadt zahlungsunfähig werden könnte.

Heute ist Rathenow trotz aller Bemühungen von einer Renaissance der Innenstadt weit entfernt. Stattdessen hat die Stadt mit einer Finanzkrise zu kämpfen. Der städtische Haushalt für 2007 erwies sich als dermaßen kritisch, dass er von der brandenburgischen Kommunalaufsicht nur unter Auflagen genehmigt wurde. Die Stadt kann deshalb kaum noch Gelder für Investitionen und Instandhaltungsmaßnahmen ausgeben. Viele Schulen, Kindergärten und Straßen befinden sich mittlerweile in einem erbärmlichen Zustand. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht. Die Prognosen sagen sogar einen weiteren Bevölkerungsrückgang auf 22.500 Einwohner bis 2015 voraus. Deshalb plant Remus schon jetzt den Abriss ganzer Stadtteile. Von der BUGA erwartet er kein Ende dieses Aderlasses. Dennoch unterstützt er die BUGA. "Die BUGA bringt zwar nicht viel für die Stadtentwicklung", erklärt er. "Aber sie gibt den Bürgern ein gutes Gefühl."

Ein Ausweg aus der Krise ist auch deshalb schwierig, weil die Finanznot mittlerweile die wirtschaftliche Entwicklung erschwert. Von den Problemen der Investoren berichtet Martin Tauschke. Tauschke ist Geschäftsführer des Technologie- und Gründerzentrums in Rathenow und der Alensys AG, die mit dem Bau alternativer Energieanlagen beschäftigt ist. Tauschke möchte Rathenow zu einem Kompetenzzentrum für Bioenergie entwickeln. "Rings um Rathenow gibt es viel Energielandwirtschaft", begründet er sein Konzept. Deshalb hat er das brandenburgische Netzwerk für Biokraftstoffe nach Rathenow geholt und mit dem Bau einer Biogasanlage begonnen.

Doch auch Tauschke hat mit Problemen zu kämpfen. Ein Manko ist der Mangel an Bildungseinrichtungen. "Viele junge Leute gehen zur Ausbildung nach Berlin und bleiben dann dort", berichtet er. Die Folge ist ein Defizit an Fachkräften. Tauschke bemüht sich deshalb um die Schaffung neuer Bildungseinrichtungen. Doch dieser Wunsch scheitert immer wieder an fehlenden Geldern. Ein Nachteil ist auch das Fehlen eines Autobahnanschlusses. Dieses Problem sollte ursprünglich durch den Ausbau der Bundesstraße 102 zwischen Rathenow und der Autobahn bei Brandenburg entschärft werden. Doch im Juli 2007 hat die brandenburgische Landesregierung den Ausbau der Bundesstraße 102 gestrichen. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist die Förderpolitik der brandenburgischen Landesregierung, die seit 2005 ihre Wirtschaftsförderung auf regionale Wachstumskerne konzentriert, zu denen Rathenow nicht zählt.

Aus diesen Gründen wird sich Tauschke zwar auch weiterhin um die wirtschaftliche Entwicklung Rathenows bemühen. Doch sein eigenes Unternehmen, die Alensys AG, die derzeit am Stadtrand von Berlin sitzt, wird auf keinen Fall nach Rathenow umziehen. An dieser Entscheidung wird selbst die BUGA nichts ändern.

Matthias Grünzig