Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.01.2008
Dem Niedergang entronnen (Neuruppin)

Neuruppin ist in vielerlei Hinsicht eine Modellstadt. Mustergültig ist die Altstadt, die nach dem Stadtbrand von 1787 als frühklassizistische Modellstadt wieder aufgebaut wurde. Hier gibt es breite Straßen, repräsentative Plätze und Bürgerhäuser, die sich in preußischer Disziplin aneinanderreihen. Neuruppin ist aber auch in anderer Hinsicht vorbildlich. Denn während in anderen ostdeutschen Städten Baudenkmäler abgerissen werden, sind hier vor allem sanierte Häuser zu finden. Zudem konnte Neuruppin in den letzten Jahren einen Anstieg der Bevölkerungszahl von 31.000 auf 33.000 verzeichnen, und der Wohnungsleerstand beträgt niedrige 5 Prozent.

Dieser Erfolg war keineswegs selbstverständlich. Denn auch Neuruppin hatte nach 1990 mit Problemen zu kämpfen. Die größten Arbeitgeber der Stadt mussten ihre Produktion einstellen. Die Altstadt litt zudem unter einer schwierigen Eigentümerstruktur. Zahlreiche Häuser gehörten auswärtigen Privateigentümern, die die Gebäude nicht aus Liebe zu Baudenkmälern, sondern in der Hoffnung auf Steuersparmöglichkeiten gekauft hatten. Nach dem Ende der Sonderabschreibungen für Ostdeutschland Ende 1998 verloren viele dieser Eigentümer das Interesse an ihren Baudenkmälern. Sie ließen ihre Häuser verfallen und stellten sich selbst gegenüber den Sanierungsgeboten der Stadtverwaltung taub. Schlagzeilen machte ein 1689 erbautes Fachwerkhaus in der Schulzenstraße. Das älteste Wohnhaus der Stadt, das selbst den Stadtbrand von 1787 überstanden hatte, wurde jahrelang dem Leerstand und Verfall überlassen. Andere Eigentümer rissen ihre ungeliebten Baudenkmäler einfach ab.

Dass die Altstadt dennoch gerettet werden konnte, ist vor allem den beiden gemeinnützigen Wohnungsunternehmen der Stadt zu verdanken. Die städtische Neuruppiner Wohnungsbaugesellschaft (NWG) und die Wohnungsbaugenossenschaft "Karl Friedrich Schinkel" (WBG) wollten sich mit dem Niedergang nicht abfinden und nahmen zahlreiche Altstadtgebäude in ihre Obhut. Anschließend kümmerten sie sich um die Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen. Dabei stellte sich heraus, dass die veranschlagten Sanierungskosten, die oft 1800 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche betrugen, durch die in Neuruppin üblichen Nettokaltmieten von 3,90 Euro nicht finanziert werden konnten. Selbst der Einsatz von Fördergeldern konnte das Problem nicht entschärfen. Die Lösung brachte schließlich eine Quersubventionierung. Denn beide Unternehmen besitzen umfangreiche Plattenbaubestände, die gut belegt sind und Gewinne erwirtschaften. Die NWG verfügt über rund 2700 Plattenbauwohnungen bei knapp 1000 Altbauwohnungen, die WBG besitzt 1500 Plattenbauwohnungen bei 250 Altbauwohnungen. Deren Gewinne konnten für die Altbausanierung genutzt werden.

Die Ergebnisse der Sanierungen lassen erstaunen. Die WBG hat in der August-Bebel-Straße und Präsidentenstraße drei Bürgerhäuser aus der Zeit um 1790 und ein Gründerzeithaus wiederbelebt. Die mit Girlanden und Reliefs geschmückten Fassaden wurden ebenso restauriert wie die die gründerzeitlichen Stuckdekorationen und Oberlichtkuppeln in den Treppenhäusern. Die Wohnungen dagegen erhielten neue Grundrisse und rückwärtige Balkone. Und im Hofbereich wurden trennende Grundstücksmauern und Nebengebäude abgerissen, damit die von den Mietern gewünschten Grünflächen und Parkplätze geschaffen werden konnten. Wahre Kleinode schuf die NWG, die an der Bernhard-Brasch-Straße spätbarocke Bürgerhäuser erneuert hat. Hier wurden nicht nur die Fassaden und Treppenhäuser, sondern auch die noch original erhaltenen Wohnräume und Bodendielen aus der Erbauungszeit saniert. Insgesamt konnten über 60 Prozent der Altstadtgebäude saniert werden.

Dennoch gibt es auch Probleme. Denn besonders kostspielige Sanierungen können derzeit noch nicht finanziert werden. Schuld sind die politischen Rahmenbedingungen. Das Programm "Stadtumbau Ost" fördert zwar den Abriss, nicht aber die Sanierung von Wohnungen. Auch deshalb haben die Neuruppiner Wohnungsunternehmen keinen Cent aus dem Programm "Stadtumbau Ost" erhalten. Zudem müssen sie noch immer für Altschulden zahlen, die ihnen während der DDR-Zeit willkürlich zugeschrieben worden waren. Zwar sieht das "Stadtumbau Ost" - Programm auch den Erlass von Altschulden vor. Doch dieser wird nur dann gewährt, wenn ein Wohnungsunternehmen hohe Leerstände aufweist und Wohnungen abreißt. Allein die NWG muss deshalb Jahr für Jahr 1,1 Millionen Euro an Zins und Tilgung für die Altschulden zahlen. Dieses Geld fehlt für die Stadtsanierung. Natürlich gibt es Vorschläge für eine Veränderung dieser Anachronismen, etwa durch einen Altschuldenerlass auch für Wohnungsunternehmen, die keine Wohnungen abreißen. Doch noch scheint der Bundesregierung der Wohnungsabriss wichtiger als die Sanierung der Städte zu sein.

Matthias Grünzig