Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Vortrag zum 12. Kongress "Städtebaulicher Denkmalschutz" am 30./31.08.2004
Die Probleme ostdeutscher Altstädte und die Chancen ihrer Bewältigung

Die jüngsten Berichte über Leerstandsprobleme, stagnierende Sanierungsprozesse und die Abrisse von Baudenkmälern in zahlreichen Altstädten Ostdeutschlands haben eine neuerliche Debatte über die Zukunft der betroffenen Altstädte ausgelöst. Vielerorts wird die Frage aufgeworfen, ob und wie die bedrohten Altstädte gerettet werden können. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings schnell, dass die Suche nach einer Zukunft für die gefährdeten Denkmalbereiche alles andere als einfach ist. Denn in den betroffenen Gebieten überlagern sich eine Vielzahl von Problemen, die bei Revitalisierungsstrategien berücksichtigt werden müssen. Ich will in meinem Vortrag einige Problemkomplexe darstellen, die zu Leerständen und Abrissen in Altstadtbereichen führen, und anschließend mögliche Lösungsansätze beschreiben.

Ursachen für Leerstände und Abrisse in ostdeutschen Altstädten

Der erste Problemkomplex umfasst die oft diskutierten wirtschaftlichen Defizite großer Teile Ostdeutschlands, die mit einer geringen Wirtschaftskraft, einer wirtschaftlichen Stagnation und einer hohen Arbeitslosigkeit zusammenhängen. Mit ihnen verbunden sind geringe Steuereinnahmen und niedrige, teilweise sogar sinkende Pro-Kopf-Einkommen, die wiederum den innerstädtischen Handel und die Gastronomie schwächen. Außerdem sorgt die hohe Arbeitslosigkeit vielerorts für eine Abwanderung vor allem in die alten Bundesländer, die einen wachsenden Wohnungsleerstand und das Desinteresse von Denkmaleigentümern und Banken an Sanierungen nach sich ziehen. In dieser Lage wird die Sanierung und Nutzung der Altstädte durch öffentliche Einrichtungen, Wohnungen, Handel und Gastronomie immer schwieriger.

Zu diesen Defiziten kommt in vielen Städten aber noch ein zweiter Problemkomplex hinzu, der die Wiederbelebung der Altstädte erschwert. Denn vor allem in Klein- und Mittelstädten Ostdeutschlands sind gravierende Diskrepanzen zwischen der historischen Bebauungsstruktur und der aktuellen Wirtschafts- und Sozialstruktur anzutreffen. Einerseits verfügen viele dieser Städte über einen enormen Reichtum an Architektur und Kultur. Andererseits sorgt hier aber ein Mangel an hochqualifizierten Arbeits- und Bildungsangeboten für ein Defizit an kulturinteressierten Milieus, die diese Reichtümer zu schätzen wissen.

Ein Beispiel für diese Probleme ist Altenburg in Thüringen. Altenburg war bis 1920 Residenzstadt des Kleinstaates Sachsen-Altenburg und verfügte in dieser Funktion über eine Regierung einschließlich eines beachtlichen Beamtenapparates, mehrere Gerichte, eine Landesbank sowie repräsentative Bildungs- und Kultureinrichtungen. Die heutige Stadtstruktur ist vor allem von dieser Zeit geprägt. Altenburg besitzt eine wertvolle Bausubstanz, wie das nach einem Entwurf Gottfried Sempers errichtete Theater, das vorwiegend barocke Schloss, den neogotischen Marstall, die Orangerie, das Naturkundemuseum Mauritanium, den Schlosspark und Bildungsbauten, wie das Josephinum. Weiterhin verfügt die Stadt über pompöse Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, prächtige Gründerzeitvillen, reich dekorierte Mietshäuser mit palastartigen Wohnungen und eine Altstadt, die mit einem kostbaren Renaissance-Rathaus und Bürgerhäusern aus der Zeit von der Renaissance bis zum Jugendstil aufwarten kann. Und zu alledem bietet die Stadt das Lindenau-Museum, das über die größte Sammlung frühitalienischer Tafelbilder außerhalb Italiens und weitere kostbare Ausstellungsstücke verfügt und deshalb in die Liste der "Kulturellen Leuchttürme" der Bundesregierung aufgenommen worden ist. Altenburg besitzt also einen ungeheueren Reichtum an Kultur und Architektur, der sowohl den Zweiten Weltkrieg als auch die DDR-Zeit fast unbeschadet überstanden hat und heute gerade für kulturell interessierte Milieus höchst attraktiv wäre.

Das Problem ist allerdings, dass diese Milieus in Altenburg in zu geringer Zahl vorhanden sind, weil es an den entsprechenden Arbeits- und Bildungsangeboten fehlt. Die Ursache für diesen Mangel hängt zum Teil mit der Entwicklung Altenburgs während der DDR-Zeit zusammen. Denn in dieser Zeit entwickelte sich Altenburg zu einer Pendlerstadt, die zunehmend von Beschäftigten der benachbarten Braunkohletagebaue, der Braunkohleindustrie von Böhlen und Espenhain und des Uranbergbaus der Wismut bevölkert wurde, die mit den residenzstädtischen Traditionen Altenburgs nicht viel anfangen konnten. Allerdings bildeten sich auch während der DDR-Zeit im Umkreis des Theaters, der Museen und der drei Fachschulen kulturell aktive Milieus heraus, die sich intensiv für den Erhalt der Altstadt einsetzten. Nicht zuletzt deshalb konnten in den 1980er Jahren geplante Abrisse in der Altstadt durch Proteste und Demonstrationen verhindert werden.

Doch gerade diese aktiven Milieus verloren nach 1990 ihre Basis. Die drei Fachschulen wurden schon kurz nach 1990 abgewickelt, das Theater wurde 1994 mit dem Geraer Theater fusioniert und seitdem immer mehr verkleinert, und auch die Mitarbeiterzahl des Lindenau-Museums ist seit 1990 von 27 auf 10 zurückgegangen. Und da Altenburg seitdem kaum neue Impulse erhalten hat, ist ein Mangel an kulturell interessierten, altstadtbegeisterten Milieus unübersehbar. Beispielsweise berichtet das Lindenau-Museum, dass die Altenburger Bevölkerung kaum Interesse am Museum zeigen würde, dass selbst eine "Lange Nacht des Museums" oder Kulturveranstaltungen im Museum wenig Resonanz bei den Altenburgern finden würden. Zudem leidet die Altstadt unter einem überdurchschnittlichen Leerstand, während die aktuellen Abrisse von Baudenkmälern in der Altstadt kaum auf Widerspruch stoßen, geschweige denn Proteste auslösen.

Diskrepanzen dieser Art sind auch in Weißenfels zu finden. Die Stadt, die zwischen 1680 und 1746 als Residenzstadt des Staates Sachsen-Weißenfels diente, präsentiert sich noch heute als ein großartiges barockes Stadtdenkmal. Die Stadt beeindruckt mit dem barocken Schloss Neu Augustusburg, mit mehreren hochkarätigen Adelspalästen, mit Wirtschaftsgebäuden wie der Hoffischerei und der Hofbäckerei, mit den Bürgerhäusern in der Kernstadt und den bescheideneren Kleinbürgerhäusern in den Vorstadtstraßen. Die höfische Struktur jener Zeit - in Weißenfels kann sie noch heute nachvollzogen werden. Dennoch gibt es auch hier große Probleme, Bürger in Altstadt zu locken, mit der Folge, dass zum Beispiel in der Leipziger Straße auch aufwändig sanierte Wohnungen leer stehen. Und der aktuelle Abriss wertvoller altstädtischer Bausubstanz löst auch in Weißenfels kaum Proteste seitens der Bevölkerung aus.

Ein weiteres Beispiel für ein geringes Interesse der Bevölkerung an der Altstadt ist Zeitz. Hier hat die Stadt 2002 drei Altstadthäuser aus der Zeit um 1850 in der Voigtstraße und an der Voigtsmauer mit Hilfe großzügiger Fördermittel saniert und als Eigentumswohnungen zu besonders günstigen Konditionen angeboten. Dennoch verlief Vermarktung aufgrund fehlender Nachfrage schleppend, und selbst heute noch stehen Wohnungen leer, weil das Interesse am Wohnen in der Innenstadt begrenzt ist. Gleichzeitig sah sich die Stadt allerdings gezwungen, am Stadtrand ein neues Einfamilienhausgebiet zu erschließen, da nach Auskunft der Stadtverwaltung nur 3 von 100 Eigenheimerwerbern Interesse an der Innenstadt gezeigt hätten.

Diese Probleme, die auch in anderen Städten zu finden sind, zeigen, dass viele ostdeutsche Altstädte nicht nur unter einer zu geringen Wohnungsnachfrage, sondern auch unter einer für sie ungünstigen Nachfragestruktur leiden. Kurz gesagt: In vielen ostdeutschen Klein- und Mittelstädten fehlen Milieus, die das Wohnen in der Altstadt besonders schätzen.

Der dritte Problemkomplex, mit dem viele ostdeutsche Altstädte konfrontiert sind, betrifft die Art und Weise, wie die Politik auf Bundes- und Länderebene auf die vorgenannten Probleme reagiert. Zwar stellte und stellt die öffentliche Hand beträchtliche Fördermittel für die Stadtsanierung bereit. Doch die Grundprobleme vieler Altstädte, die wirtschaftliche Schwäche und das Fehlen "altstadtkompatibler Milieus", wurden nur selten gelöst. Im Gegenteil: Die Politik reagierte auf die beschriebenen Defizite nicht etwa mit einer Stärkung der Kultur-, Wissenschafts- und Bildungslandschaft oder einer forcierten Strukturpolitik in den betroffenen Städten, die den dortigen Altstädten neue Impulse verleihen könnte, sondern mit Kürzungen der Zuschüsse für die Wissenschaft, die Kultur und die Kommunen. Beispielsweise beschloss die Landesregierung von Sachsen-Anhalt 2003 die Einsparung von 10 Prozent der Hochschulausgaben ab 2006. Die Staatsregierung von Sachsen wiederum will laut eines Beschlusses aus dem Jahr 2002 bis 2010 mehr als 10 Prozent des Hochschulpersonals abbauen. Sparmaßnahmen sehen sich aber auch die Theater und Museen ausgesetzt.

Die Folge dieser Politik ist eine weitere Schwächung der Städte, die sogar Revitalisierungsstrategien für die Altstädte konterkarieren kann. Ein Beispiel für die Wirkung von Einsparungen bei der Kultur ist in Zeitz zu finden. Zeitz besaß 1990 ein Theater mit 230 Beschäftigten, das allerdings nur über eine unzureichende Spielstätte am Rande der Innenstadt verfügte. Im April 1999 fasste der Zeitzer Stadtrat den beispielhaften Beschluss, das Theater zu einem zentralen Element einer Wiederbelebung der Zeitzer Innenstadt zu machen. Geplant war der Umbau des seit 1997 leer stehenden Kinos "Capitol" zu einem Theater. Das Gebäude, das mitten in der Altstadt liegt und über eine originale Art-deco-Inneneinrichtung aus dem Jahr 1928 verfügt, sollte die Altstadt deutlich aufwerten und Zuzügler in die Altstadt locken. Die 2000 begonnenen Bauarbeiten, die von baurechtlichen Problemen (Nichteinhaltung von Abstandsflächen) behindert und zeitweise ganz gestoppt wurden, führten schließlich zur Fertigstellung des neuen Bühnenhauses. Dennoch wird das Zeitzer Konzept nicht verwirklicht werden können. Denn Ende 2003 musste das Zeitzer Theater aufgrund der Streichung von Zuschüssen schließen.

Andere Städte sind ebenfalls von Sparmaßnahmen auf dem Gebiet der Kultur betroffen. Das schon erwähnte Theater in Altenburg wurde 1994 mit dem Geraer Theater zu einem Ensemble mit insgesamt 700 Mitarbeitern fusioniert. In der Folgezeit erlebte das Theater Altenburg-Gera immer wieder Kürzungen, die allein im Jahr 2000 den Etat um 20 Prozent reduzierten und die zu einer Halbierung der Beschäftigtenzahl führten. Das Theater von Zittau wiederum musste im Jahr 2003 Etatkürzungen um 100.000 Euro hinnehmen, in deren Folge Mitarbeiter entlassen und die Zahl der Neuinszenierungen reduziert werden mussten.

Aber auch die Reduzierung der Zuschüsse für die Kommunen und die damit verbundene Krise der kommunalen Haushalte schafft Probleme für die Innenstädte. In Weimar musste aufgrund der kommunalen Finanznot 2003 das Stadtmuseum geschlossen werden, das baukulturell wertvolle Museumsgebäude steht seitdem leer. In Gotha erfolgte schon im Jahr 2000 die Schließung des Jugendklubhauses und der Jugendherberge, die das Prinzenpalais, ein herzogliches Wohnpalais aus dem Jahr 1766, genutzt hatten. Seitdem steht auch dieses Gebäude leer, und für einen Teil des Palais, das Kavalierhaus, gibt es sogar Abrisspläne. Mit finanziellen Problemen hat auch Görlitz zu kämpfen. Hier schwelte bis zum August 2004 ein Konflikt mit dem Regierungspräsidium Dresden um die Genehmigung des Haushaltes für 2004. Für besonderen Zündstoff sorgte ein Gutachten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PWC, das zur Sanierung des Görlitzer Haushaltes drastische Einsparungen, wie die Schließung des Theaters und die Stilllegung der Straßenbahn, verlangte. Eine Umsetzung dieser Maßnahme würde die Attraktivität der Innenstadt von Görlitz gefährden. Mit Einbußen anderer Art sieht sich dagegen Luckau konfrontiert. Diese Stadt hat sich in den letzten Jahren intensiv um die Altstadtsanierung bemüht und dafür 2002 die Goldplakette des Wettbewerbs "Leben in historischen Innenstädten und Ortskernen" gewonnen. Doch nach einem Konzept für eine Neugliederung der Planungsregion Lausitz-Spreewald aus diesem Jahr soll Luckau seinen derzeitigen Status als Grundzentrum mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums mit entsprechenden Ausstattungsansprüchen verlieren.

Und nicht zuletzt tragen auch die vollzogenen oder geplanten Kürzungen bei den Sozialtransfers, wie Rentenkürzungen und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Rahmen der Hartz IV-Reform zu einer Schwächung gerade der ostdeutschen Städte bei. Denn diese Einschnitte führen zu sinkenden Einkommen und gefährden damit zusätzlich die ohnehin schon prekäre Lage des Handels, der Gastronomie, der Freizeit- und Kulturstätten. Welche Folgen der Mangel an Kaufkraft haben kann, kann schon jetzt in Zittau besichtigt werden. Hier wurde 2002 der Marstall, ein Speichergebäude aus dem Jahr 1511, zu einem Einkaufs- und Kulturzentrum mit Gaststätten, Läden und der Stadtbibliothek umgebaut. Doch jetzt stehen viele der Läden leer, weil die nötige Kaufkraft fehlt. Und auch in Herzberg an der Elster konnten umfangreiche Sanierungsmaßnahmen die Verödung des Stadtkern nicht verhindern. So ist der sanierte Ratskeller verwaist, weil es an zahlungskräftigen Gästen mangelt, und auch andernorts ist ein Defizit an Gastronomie festzustellen. Zudem besteht die Gefahr, dass sich in vielen Städten immer weniger Bürger Theater- und Kinobesuche leisten können. Die Folge wäre, dass die Auslastung der Theater sinken und dass einige von ihnen in ihrem Bestand bedroht sein könnten. Am Ende könnte eine Entwicklung stehen, während der ganze Städte mangels Einkommen in einen Winterschlaf verfallen. Das Stadtumbau-Ost-Programm wiederum löst keines dieser Probleme, da es lediglich am Symptom Wohnungsleerstand ansetzt.

Die Krise der Altstädte und ihre Folgen

Diese drei Problemkomplexe - die wirtschaftliche Schwäche, das fehlende Angebot für kulturinteressierte, altstadtbegeisterte Milieus und die unangemessene Reaktion der Politik - verdichten sich schließlich in zahlreichen ostdeutschen Städten zu einem Szenario anhaltenden Niederganges. Ein Großteil der ostdeutschen Städte haben nach wie vor mit erheblichen Bevölkerungsverlusten zu kämpfen, die zwischen dem 31.12.1998 und dem 31.12.2002 in Görlitz bei 7,5 Prozent, in Zittau bei 7,1 Prozent und in Bautzen bei 5,4 Prozent lagen. Altenburg hat zwischen dem 31.12.1999 und dem 31.12.20.036,7 Prozent seiner Einwohner verloren, während Suhl im gleichen Zeitraum gar einen Verlust von 9,5 Prozent seiner Einwohner hinnehmen musste. Anhaltend hoch sind vielerorts auch die innerstädtischen Wohnungsleerstände, die in der Altstadt von Zittau 35 Prozent und in der Altstadt von Weißenfels 45 Prozent betragen.

Und folgerichtig ist auch ein zunehmender Abriss von Baudenkmälern zu verzeichnen. In Altenburg erfolgten in den letzten Jahren Abrisse in der Teichstraße, der Pauritzer Straße, der Schmöllnschen Straße, der Johannisstraße. Allein 2003 wurden in der Teichstraße vier Bürgerhäuser aus der Zeit des Barock und des Klassizismus in sowie ein Renaissancehaus von 1576 abgerissen. Durch diese Abrisse löst sich die ehemals so geschlossene Stadtstruktur, die den Zweiten Weltkrieg und die DDR-Zeit überstanden hat, allmählich auf. In Weißenfels erfolgte 2003 der Abriss von fünf barocken Bürgerhäusern in der Marienstraße und der Saalstraße, und 2004 fielen hier zwei Häuser in der Nikolaistraße, von denen eines aus dem Jahr 1667 stammte, drei Häuser in der Klosterstraße, und ein Haus in der Marienstraße dem Abrissbagger zum Opfer. Weitere Abrisse in der Marienstraße und Nikolaistraße dürften demnächst folgen.

Verluste sind auch in Zittau zu beklagen, das im 17. und 18. Jahrhundert eine der wichtigsten und wohlhabendsten Handelsstädte Sachsens war. Aus dieser Zeit hat sich ein wertvoller Stadtkern mit großartigen barocken Kaufmannshäusern erhalten, die sich noch heute in seltener Originalität mit opulenten Treppenhäusern, barocken Stuckdecken und Kaminen präsentieren. Hier wurden in den vergangenen Jahren Gebäude in der Baderstraße, der Amalienstraße, der Brunnenstraße und der Böhmischen Straße beseitigt, darunter auch ein Bürgerhaus aus dem 16. Jahrhundert in der Brunnenstraße. Für die Zukunft ist der Abriss weiterer barocker Kaufmannshäuser in der Brunnenstraße vorgesehen.

Und in Gotha spielt das Thema Abriss ebenfalls eine Rolle. Die thüringische Stadt, die bis 1920 als Residenzstadt diente, kann mit reichen Traditionen auf dem Gebiet der Kultur, der Wissenschaft, des Verlagswesens und der Finanzwirtschaft aufwarten, die sich auch in der baulichen Gestalt der Stadt widerspiegeln. Doch auch dieses Erbe ist in Gefahr. Schon in der Vergangenheit wurden mehrere Gebäude im östlichen Teil der Altstadt beseitigt. Mittlerweile sind sogar stadtbildprägende Repräsentationsbauten, wie das Hotel "Volkshaus zum Mohren", das im Kern aus dem Jahr 1646 stammt, das Winterpalais von 1822 und das schon erwähnte Kavalierhaus von 1766 gefährdet.

Die Liste der vollzogenen und geplanten Abrisse in Altstadtbereichen ließe sich beliebig fortsetzen. In Bernburg erfolgte 2003 der Abriss des barocken Gasthofs "Zum weißen Schwan" und der benachbarter Bürgerhäuser in der Breiten Straße, in Radeberg wurden in jüngster Zeit Gebäude in der Pulsnitzer- und Oberstraße abgerissen. Und in der ehemaligen Bischofsresidenz Wurzen, die im vorigen Jahr vom sächsischen Innenministerium zur Modellstadt für den Stadtumbau erklärt wurde, fielen in der Johannisgasse, der Barbaragasse, der Berggasse, der Schuhgasse und am Sperlingsberg Baudenkmäler aus der Zeit um 1800 der Abrissbirne zum Opfer.

Bei einem Fortbestehen der jetzigen Rahmenbedingungen sind auch in Zukunft weitere Abrisse zu erwarten. So sagen demografische Prognosen, wie die 2004 veröffentliche Studie "Deutschland 2020" des Berlin-Instituts für Weltbevölkerung und globale Entwicklung, auch für die Zukunft einen dramatischen Bevölkerungsrückgang für zahlreiche ostdeutsche Städte voraus.

Die Verluste, die die Abrisse in den ostdeutschen Altstädten mit sich bringen, sind immens. Denn sie erschöpfen sich ja nicht nur in der Vernichtung von kulturhistorischen Werten, sondern bedeuten auch einen Verlust an ökonomischen Potenzialen. Denn attraktive Altstädte gewinnen im Zusammenhang mit der wachsenden Rolle der wissensbasierten Ökonomie eine ganz neue Bedeutung. Gerade historische Stadtstrukturen, die ja auch Philosophien, Lebensentwürfe und kulturelle Positionen widerspiegeln, können sehr viel inspirierender auf wissensbasierte Branchen wirken als austauschbare Neubauten in abgelegenen Technologieparks. Die Denkmalpflegestudie Berlin von 2002 belegt diesen Zusammenhang. Mit seiner ungewöhnlichen Dichte an hochkarätigen Altstädten verfügt Ostdeutschland sogar über ein Alleinstellungsmerkmal auf diesem Gebiet, das es zu einem bevorzugten Standort von wissensbasierten Branchen machen könnte. Zudem waren vor allem ehemalige Residenzstädte schon früher Zentren der Wissensgesellschaft und können deshalb eine entsprechende Infrastruktur, wie Theater, Museen, Akademien, Bibliotheken, Bildungsstätten, künstlerische und wissenschaftliche Sammlungen, anbieten. An diese Voraussetzungen könnten wissensbasierte Branchen anknüpfen. Vor diesem Hintergrund könnte der reiche Denkmalbestand gerade der neuen Länder zum wichtigen Standortvorteil in der internationalen Standortkonkurrenz werden - wenn er denn eine Chance bekäme.

Konzepte für eine Wiederbelebung krisenhafter Altstädte

Die wirtschaftliche Bedeutung attraktiver Altstädte weist aber auch einen Weg, wie die gefährdeten Altstädte wiederbelebt werden könnten. Dieser bestünde in einer Verknüpfung zweier aktueller Debatten: der Debatte über die Wiederbelebung der Altstädte und der Debatte über eine Stärkung von Wissenschaft und Innovation. Die Vision wäre dann die Weiterentwicklung der ostdeutschen Denkmallandschaft zu einer Kultur- und Wissenschaftslandschaft, die auch im internationalen Standortwettbewerb konkurrenzfähig ist und Zuwanderer anlockt, welche wiederum den abwanderungsgeplagten Städten eine neue Blutzufuhr bescheren würden. Die Voraussetzung für solch eine Entwicklung wäre allerdings eine Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturpolitik, die die Potenziale der betroffenen Städte zum Leben erweckt. Dazu bedarf es keiner Abrissprogramme, sondern der Entwicklung von Wirtschaftsprofilen, die die vorhandene Denkmallandschaft optimal nutzen. Dazu könnte die Ansiedlung und Stärkung von Hochschulen, Universitäten und Forschungszentren ebenso gehören wie die Stärkung von Kultureinrichtungen. Die bisherige Erfahrung hat zudem gezeigt, dass eine massive Technologieförderung durch die öffentliche Hand tatsächlich erfolgreiche Entwicklungen anstoßen kann. Gerade die Erfolge in Dresden oder Jena, vor allem aber in München oder im Rhein-Neckar-Raum zeigen einen Weg auf, der auch die stagnierenden Regionen Ostdeutschland voranbringen könnte.

Da es für die Neubelebung der Altstädte aber noch kein Patentrezept gibt, ist auch offenes gesellschaftliches Klima nötig. Dazu zählt der Mut zu Experimenten, die Offenheit für neue Ideen, und eine Einstellung, die ungenutzte Gebäude als Chance betrachtet und nicht als Problem, das schleunigst durch Abriss entsorgt werden muss.

Matthias Grünzig