Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Bauwelt 4/2012
Neu bauen in schrumpfenden Städten? (Land Brandenburg)

Die Städtebau- und Wohnungsbauförderung gilt allgemein als eine Erfolgsgeschichte. Doch nun sorgt die Förderpolitik des Landes Brandenburg für Negativschlagzeilen. Hintergrund sind Vorwürfe, nach denen in Brandenburg eine massive Fehlverwendung von Fördergeldern stattfindet.

Der Ausgangspunkt des Konfliktes ist, dass Brandenburg ein in wirtschaftlicher und demografischer Hinsicht gespaltenes Land ist. Auf der einen Seite steht der berlinnahe Raum, in dem die Städte und Gemeinden mit einem starken Bevölkerungswachstum konfrontiert sind. In diesen Kommunen herrscht schon jetzt ein Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Dieses Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil alle Bevölkerungsprognosen ein weiteres Wachstum voraussagen. Ein Beispiel ist Potsdam, das von 2003 bis 2010 von 143000 auf 155000 Einwohner gewachsen ist und das laut Prognosen bis 2030 auf 182000 Einwohner anwachsen wird. Folgerichtig ist in diesen Städten ein geförderter Wohnungsneubau dringend erforderlich.

Auf der anderen Seite steht der berlinferne Raum, der mit starken Bevölkerungsrückgängen und erheblichen Wohnungsleerständen zu kämpfen hat. Diese Probleme werden auch die Zukunft bestimmen, da die Prognosen einen Fortgang des Bevölkerungsrückganges vorhersagen.

Die entgegengesetzte Wohnungsmarktlage und die knappen öffentlichen Kassen werfen die Frage auf, welche Prioritäten bei der Förderpolitik gesetzt werden sollen. Was ist wichtiger - der Abriss leerer Wohnungen in der schrumpfenden Städten oder der Neubau von Wohnungen in den wachsenden Städten? Die brandenburgische Landesregierung hatte diese Frage in den letzten Jahren zugunsten des Wohnungsabrisses entschieden. Rund 550 Millionen Euro wurden seit 2002 in Brandenburg in den Stadtumbau Ost investiert. Für diese Summe konnten rund 61000 Wohnungen abgerissen werden. Der geförderte Wohnungsneubau wurde dagegen 2005 wegen Geldmangel eingestellt.

Diese Schwerpunktsetzung führte in den letzten Jahren zu zunehmenden Protesten. Vor allem die Stadtverwaltungen der wachsenden Städte forderten ein Umsteuern in der Förderpolitik - weg vom geförderten Wohnungsabriss, hin zum geförderten Wohnungsneubau. Diese Forderungen wurden auch deshalb immer lauter, weil der geförderte Wohnungsabriss nirgendwo zu einer nachhaltigen Stabilisierung der Städte geführt hatte. In einigen Städten wurden nach den Abrissen sogar noch höherere Wohnungsleerstände als vor den Abrissen gemessen.

Groß war daher die Hoffunung, als der brandenburgische Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger im April 2010 eine Wiederaufnahme der Wohnungsneubauförderung ankündigte. Die wachsenden Städte hofften auf einen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot. Umso größer war das Entsetzen, als im November 2010 die konkrete Verteilung der Fördergelder für den Wohnungsneubau bekannt gegeben wurde. Demnach wurden 10 Projekte mit insgesamt 180 Wohnungen für eine Förderung empfohlen, die durchweg in Städten mit hohen Wohnungsleerständen errichtet werden sollen. Allein drei geförderte Projekte sind in Wittstock geplant, weitere Neubauprojekte sollen in Kyritz, Frankfurt/Oder, Templin, Eberswalde, Prenzlau, Luckenwalde und Pritzwalk gefördert werden. Für sechs weitere Neubauprojekte mit insgesamt 156 Wohnungen wurde eine Förderung unter Vorbehalt beschlossen. Auch diese Vorhaben befinden sich fast vollständig in stark schrumpfenden Städten, wie Finsterwalde, Cottbus, Spremberg und Frankfurt/Oder, nur in einem Fall soll ein Neubauprojekt in Potsdam gefördert werden.

Zu welchen Absurditäten diese Neubauförderung führen würde, kann am Beispiel Wittstock illustriert werden. Diese Kleinstadt musste nach 1990 einen Bevölkerungsrückgang von rund 20000 auf derzeit rund 10000 Einwohner verkraften. Gleichzeitig wurden nach 1990 erhebliche Fördergelder in die Sanierung von Altbauten und den Neubau von Wohnquartieren investiert. Ab 2002 kamen hohe Fördersummen für den Abriss von Wohnungen hinzu. Häufig wurden Wohnungen abgerissen, die erst nach 1990 aufwändig saniert worden waren. Dennoch herrscht in Wittstock derzeit ein Wohnungsleerstand von 12 Prozent, der fast alle Wohnungsmarktsegmente betrifft. Sowohl sanierte Altbauwohnungen als auch sanierte Wohnungen aus der DDR-Zeit und Neubauwohnungen aus der Zeit nach 1990 sind im Überfluss vorhanden. Dieser Leerstand wird sich nach allen Bevölkerungsprognosen in Zukunft weiter vergrößern. Dennoch plant die brandenburgische Landesregierung jetzt sogar den geförderten Neubau von 34 Wohnungen. Vergleichbare Anachronismen sind auch in anderen brandenburgischen Städten zu finden.

Was sind die Hintergründe für diese Verteilung der Fördergelder? Eine Nachfrage beim brandenburgischen Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft ergibt folgendes Bild: Demnach dient die Neubauförderung nicht der Bekämpfung des Wohnungsmangels, sondern der Lösung stadtästhetischer Probleme. In vielen schrumpfenden Städten gibt es eine zunehmende Zahl an Abrissbrachen und Baulücken, für deren Bebauung sich keine privaten Investoren finden. Diese Brachen werden im Infrastrukturministerium als stadtästhetisches Ärgernis empfunden. Ein öffentlich geförderter Wohnungsneubau soll diese Brachen beseitigen. Das Ziel sind ästhetisch perfekte Stadtbilder ohne hässliche Brachen. Ob diese Städte bewohnt sind, erscheint zweitrangig.

Diese Förderpolitik hat zu scharfen Debatten geführt. In Potsdam musste ein dringend benötigtes Neubauprojekt an der Straße Am Jagenstein auf Eis gelegt werden, weil die Förderung verweigert wurde. Vor allem Vertreter der berlinnahen Kommunen fordern eine Neuverteilung der Fördergelder.

Zudem führt die Neubauförderung in Städten mit hohen Wohnungsleerständen zu weiterem Subventionsbedarf. Schließlich müssen die geförderten Neubauten nicht nur gebaut, sondern auch instand gehalten werden, selbst dann, wenn sie nicht bewohnt sind. Deshalb ist es gut möglich, dass bald zusätzliche Subventionen zur Pflege leerstehender Neubauten benötigt werden.

Zugleich soll aber auch der Gebäudeabriss weitergehen. Bis 2020 sind im Land Brandenburg rund 35000 weitere Wohnungsabrisse geplant - selbstverständlich mit öffentlichen Fördergeldern.

Matthias Grünzig