Artikel/Vorträge zum Stadtumbau - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.4.2011
Es geht auch nachhaltig (Chemnitz)

Klimaschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit - diese Werte werden gern in Sonntagsreden beschworen und im Planungsalltag dann genauso gern wieder vergessen. Ganz anders ist die Situation in den Chemnitzer Stadtteilen Markersdorf und Hutholz. Hier wurde ein Stadtumbau realisiert, der die Forderung nach nachhaltigem Bauen wirklich ernst nimmt.

Vor zehn Jahren war das zwischen 1974 und 1986 errichtete Wohngebiet eine Krisenzone. Das in Plattenbauweise errichtete Quartier litt unter gleichförmigen Wohnungsgrundrissen und mangelhafter Wärmedämmung. Die Folgen waren dramatisch: Die Wohnungsgenossenschaft (WG) Einheit, die einen Großteil der Wohnungen verwaltete, verzeichnete eine Leerstandsquote von 28 Prozent. Viele Experten empfahlen angesichts dieser Lage eine Kahlschlagsanierung mit massiven Abrissen.

Die WG Einheit reagierte auf diese Empfehlungen skeptisch. Viele Bewohner hingen trotz aller Mängel an ihrem Viertel, außerdem stellten die Wohngebäude materielle Werte dar, die die Genossenschaft nicht ohne Not vernichten wollte. Deshalb entschied sie sich für einen erhaltungsorientierten Umbau unter Beteiligung der Bewohner - also für ein Konzept, das unter dem Namen "Behutsame Stadterneuerung" bekannt ist. Für die planerische Umsetzung zeichneten die Chemnitzer Architekturbüros AIC und A & P Architekten sowie die IGE Ingenieurgesellschaft aus Zwickau verantwortlich.

Das Ergebnis war ein Umbaukonzept, das ein ganzes Bündel an Maßnahmen beinhaltete. Ein wichtiges Element war die Schaffung einer größeren Vielfalt an Wohnungen. Bei dieser Gelegenheit erwiesen sich die viel geschmähten Plattenbauten als wahre Verwandlungskünstler. Ohne Probleme konnten Wände versetzt, Schwellen beseitigt und Türöffnungen vergrößert werden.

Ein Beispiel sind die elfgeschossigen Wohnblöcke an der Wolgograder Allee, die mit geringem Aufwand zu seniorengerechten Wohnanlagen umgebaut worden sind. Hier gibt es nicht nur die unterschiedlichsten Wohnungsgrundrisse, sondern auch große Wohngruppen für Senioren-Wohngemeinschaften. Einige Wohnungen erfuhren einen Umbau zu Gewerbe- und Gemeinschaftsräumen. Es entstanden Bibliotheken, Begegnungsstätten, Pflegestationen oder Arztpraxen, die die Bewohner bequem über den Aufzug erreichen können. In einem Haus wurde sogar eine kleine Ladenstraße eingebaut. Mittlerweile hat sich in den Gebäuden ein reges Gemeinschaftsleben entwickelt, das der Vereinsamung im Alter Paroli bietet.

Noch weiter gingen die Architekten im Fall der fünfgeschossigen Wohnhäuser an der Max-Opitz-Straße. Diese wurden auf zwei Etagen zurückgebaut und anschließend in Reihenhäuser untergliedert. Das Resultat sind Einfamilienhäuser mit Gärten, die bei jungen Familien sehr beliebt sind. Nicht weniger fantasievoll wurde mit den anderen Wohnblöcken umgegangen. Ein langer Gebäuderiegel konnte durch den Abriss einzelner Hausaufgänge in kleinere Stadtvillen unterteilt werden, einem anderen Wohnblock wurde ein gläsernes Penthaus aufgesetzt, und noch ein anderes Gebäude erhielt Wohnungen mit Dachterrassen.

Großen Wert legten die Architekten auf eine energetische Sanierung. Problemlos konnten die Wohngebäude mit effizienten Wärmedämmfassaden und Wärmeschutzfenstern ausgestattet werden, die für einen niedrigen Heizenergieverbrauch von durchschnittlich 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter pro Jahr sorgen. Komplettiert wurde der Umbau durch ein einheitliches Farbkonzept. Leuchtende Orange- und Ockertöne schaffen eine Atmosphäre, die eher an eine Ferienanlage als an ein Wohngebiet erinnert.

Ein ganz wichtiges Element des Stadtumbaus ist die Einbeziehung der Landschaft. Markersdorf und Hutholz zeichnen sich durch eine reizvolle Lage auf Höhenzügen oberhalb der Stadt aus, von denen aus der Blick bis zum Erzgebirge reicht. Zudem wird die Siedlung von Waldgebieten gesäumt. Diese Vorzüge wurden geschickt in Szene gesetzt. Ein Großteil der Wohnungen wurde zur Landschaft hin ausgerichtet, es gibt große Balkone, die fantastische Aussichten bieten. Zugleich wurden Grünzüge geschaffen, die Stadt und Landschaft miteinander verknüpfen. Idyllische Parkanlagen laden zum Spaziergehen ein, nebenan breitet sich eine Liegewiese mit Sonnenbänken aus, und noch ein Stück weiter ist ein Naturerlebnispark für Kinder zu finden.

Die Wohnungsnachfrage beweist, dass sich der behutsame Stadtumbau gelohnt hat. Seit 2005 verzeichnet die WG Einheit mehr Zuzüge als Fortzüge, der Wohnungsleerstand konnte von 28 Prozent auf 5 Prozent gesenkt werden. Mittlerweile ist die Nachfrage nach Wohnungen sogar so groß, dass Neubauten in Angriff genommen werden müssen. Auch diese werden höchsten ökologischen Ansprüchen genügen. Die WG Einheit wird also auch künftig beweisen, dass nachhaltiges Bauen keine leere Phrase bleiben muss.

Matthias Grünzig